Diskussion: «Haushälterischer Umgang mit dem Boden in der Schweiz»

Baden im Kanton Aargau ist eine der untersuchten Städte in der Fallstudie. Bild: zvg
Baden im Kanton Aargau ist eine der untersuchten Städte in der Fallstudie. Bild: zvg

Haushälterischer Umgang mit dem Boden in der Schweiz
Do, 29. Oktober 2020, 16.30–18 Uhr (online)
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Die Diskussionsveranstaltung zum Abschluss des vierjährigen interdisziplinären SNF-Projektes «Wie wachsen: Planung für eine ganzheitlich nachhaltige Landnutzung» nimmt Siedlungsstrukturen der Schweiz in den Blick und thematisiert die Bodennutzung der Schweiz. Ziel war es, ein Instrument für eine ganzheitlich nachhaltige Landnutzungs- und Siedlungsgestaltungsplanung zu entwickeln.

Eine nachhaltige Landnutzungs- und Siedlungsgestaltungsplanung bedingt eine einheitliche Systematik und dynamisch anpassbare Standards. Im Hinblick einer replizierbaren Methode sind im Projekt raumwissenschaftliche Stadtforschung des Wohnforums der ETH Zürich mit der Forschung zu planungs- und baurechtlichen Fragen der Professur für öffentliches Verfahrens-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht der Universität Basel vereint.

Mit den Gästen: Reto Blum, Human Decision Design GmbH, Prof. emerit. Dietmar Eberle, ETH Zürich, Dr. Martin Kolb, Kanton Baselland, Ursina Kubli, Zürcher Kantonalbank, Dr. Maria Lezzi, Bundesamt für Raumentwicklung ARE, Miriam Lüdi MLaw, Universität Basel, Dr. André Odermatt, Stadt Zürich, Prof. Dr. Antonio Togni, ETH Zürich, Sibylle Wälty, ETH Wohnforum – ETH CASE

Mit einer Abschlussveranstaltung hat Dr. Sibylle Wälty (ETH Wohnforum – ETH CASE) ihre Erkenntnisse mit Vertretern des Bundes, einem Kanton und des Immobilienmarkts ausgetauscht. Dr. André Odermatt (Stadtrat und Hochbauvorsteher Stadt Zürich) vertrat die Gemeinde mit den grössten Pendlerbewegungen, Dr. Martin Kolb (alt-Kantonsplaner Baselland) vertrat den Kanton mit dem grössten negativen Pendlersaldo, Dr. Maria Lezzi (Direktorin Bundesamt für Raumentwicklung ARE) vertrat den Bund, der die kantonalen Richtpläne verabschiedet. Ausserdem haben Ursina Kubli als Immobilienmarktanalystin und Miriam Lüdi MLaw als Vertreterin aus der Forschung ihre Statements in die Diskussion eingebracht.

Die Diskussion hat zum Vorschein gebracht, dass die Mindestanforderungen im Sinne des SNF-Forschungsprojekts Nr. 162718 im Interesse eines «gesunden» Immobilienmarkts liegen können, aber von der Raumplanung teilweise als nicht praxistauglich erachtet werden.

Das SNF-Forschungsprojekt hat untersucht, welche Kriterien der Siedlungs- und Verkehrsplanung eine Reduktion bzw. keine wesentliche Zunahme des flächenintensivsten Verkehrsmittels, dem motorisierten Individualverkehrs, bewirken. Folgende Mindestanforderungen sind von der Siedlungsplanung im Minimum einzuhalten, damit die Abhängigkeiten vom motorisierten Individualverkehr sich trotz stetigem Bevölkerungswachstum in der Schweiz nicht wesentlich erhöhen:

  • Ein Einwohner- und Beschäftigtenwachstum ist an Standorten zu fördern, wo in Gehdistanz (0,5 km) eine Haltestelle des öffentlichen Verkehrs mit einer hohen Taktfrequenz vorliegt;
  • Dieses Wachstum hat kumulativ dazu beizutragen, dass mindestens 10'000 Einwohner und mindestens 5'000 Beschäftigte vollzeitäquivalent (VZÄ) auf einer Fläche mit einem Radius von 0,5 km wohnen und arbeiten. Sofern eine höhere Nutzungsdichte als 10'000 Einwohner und 5'000 Beschäftigte VZÄ auf einer Fläche mit einem Radius von 0,5 km umgesetzt werden kann, ist ein 2:1-Verhältnis zwischen Einwohnern und Beschäftigten VZÄ in engen Räumen zu fordern.

An der Podiumsdiskussion wurden die Siedlungsqualität und die soziale Durchmischung als Gegenargument für die Mindestanforderungen im Sinne des SNF-Forschungsprojekts vorgebracht. Es bestehe daher ein Zielkonflikt zwischen den Mindestanforderungen und der Siedlungsqualität sowie der sozialen Durchmischung. Das Forschungsprojekt zeigt allerdings, dass diese Dichotomie falsch ist: es gibt keinen Zielkonflikt zwischen den Mindestanforderungen an die haushälterische Bodennutzung und der Siedlungsqualität sowie der sozialen Durchmischung. Vielmehr hat man die Wahl zwischen:

  1. Raumplänen, die in der Nähe von Arbeitsplätzen verhältnismässig wenig Wohnraum zulassen (so dass die Wohnraumnachfrage nicht gedeckt werden kann bspw. nur gleich viel Wohnraum wie Arbeitsplätze erstellt werden kann) und
    • eine Förderung des bereits hohen Verkehrsvolumens (inkl. Lärms, Luftverunreinigung etc.),
    • eine Förderung der Gentrifizierung bzw. Förderung einer schlechten sozialen Durchmischung und
    • eine Erhöhung der Boden- und Mietpreise in den Städten infolge Nachfrageüberhangs
  2. Raumpläne, welche in der Nähe von Arbeitsplätzen verhältnismässig viel Wohnraum zulassen (so dass die Wohnraumnachfrage gedeckt werden kann, d.h. annähernd doppelt so viel Wohnraum wie Arbeitsplätze erstellt werden kann), und
    • eine Eindämmung der passiven Mobilität (d.h. motorisierter Individualverkehr und öffentlicher Verkehr),
    • eine Förderung kurzer Verkehrswege, da mehr Einwohner Verkehrsstrecken zu den Arbeitsplätzen, Freizeitangeboten und Dienstleistungen tatsächlich zu Fuss oder mit dem Fahrrad überwinden können,
    • eine Förderung einer sozialen Durchmischung,
    • eine Entgegenwirkung des bekannten Laden- und Gastrosterbens.

Der einwohnerdichteste Standort im Grossraum Zürich, der Brupbacherplatz in der Stadt Zürich, der über rund 17'000 Einwohner und rund 10'000 Beschäftigte VZÄ auf einer Fläche mit einem Radius von 0,5 km verfügt, zeigt, dass die Mindestanforderungen tatsächlich nicht im erwähnten Zielkonflikt stehen. Der Standort ist ein begehrter Wohnort und weist eine hohe Siedlungsqualität auf.

Es bedarf künftig neuer Beispiele in der Praxis, die zeigen, wie die Mindestanforderungen im Sinne des SNF-Forschungsprojekts im Rahmen der raumplanerischen Interessenabwägung tatsächlich berücksichtigt werden und welche Siedlungsqualitäten die Mindestanforderungen tatsächlich generieren.

Vergrösserte Ansicht: Summary, Abb.1
Abb. 1: Ausschnitt mit einem Radius von 0.5 km von der Stadt Zürich beim Brupbacherplatz im Jahr 2014. (Quelle Luftbild: Swisstopo 2014).

Programm

Eröffnung
Dr. Sibylle Wälty, ETH Wohnforum – ETH CASE

Grusswort
Prof. Dr. Antonio Togni, Prorektor Doktorat, ETH Zürich

IMPULSREFERAT
Reto Blum, lic. iur., Entscheidungsarchitekt, Human Decision Design GmbH
«Menschliche Entscheidungen unter Risiko, Unsicherheit und in komplexen Situationen»

Podium
Dr. Martin Kolb, alt-Kantonsplaner, Kanton Baselland
Ursina Kubli, Leiterin Immobilien Analytics, Zürcher Kantonalbank
Dr. Maria Lezzi, Direktorin, Bundesamt für Raumentwicklung ARE
Miriam Lüdi MLaw, Dd. Professur Thurnherr Juristische Fakultät, Universität Basel
Dr. André Odermatt, Stadtrat und Vorsteher des Hochbaudepartements, Stadt Zürich

Synthese
Prof. emerit. Dietmar Eberle, ETH Zürich

Abschluss
Dr. Sibylle Wälty, ETH Wohnforum – ETH CASE

Moderation
Dr. Sibylle Wälty, ETH Wohnforum – ETH CASE

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